Erkenntnis 1
In der Ruhe liegt die Kraft, in der Tiefe die Klarheit.
Wenn du noch nicht da bist, wo du hinwillst, schau tiefer.
Im Getöse gesellschaftlichen Trubels lässt es sich schwer zur Ruhe kommen. Für mich als eher introvertierte Person war es daher schon immer wichtig, Rückzugsmöglichkeiten zu haben, um für mich zu sein. In meiner Zeit in China war das so gut wie unmöglich, weil man in einer kollektivistischen Gesellschaft (also eine, die Zusammengehörigkeit als Wert höherstellt als die Individualität) mit 1,6 Milliarden Menschen kaum allein ist. Umso interessanter war es zu beobachten, dass auch Chinesen einen Weg finden, zur Ruhe zu kommen: Sie können überall und jederzeit abschalten und schlafen.
Als ein Mensch mit vielen Verpflichtungen bist du sicher in einer ähnlichen Situation, dass Ruhe zu finden ein seltenes Phänomen geworden ist. Auch wenn du theoretisch weißt, wie gut es dir tut, mal nur für dich sein, scheint es in deinem trubeligen Alltag so gut wie unmöglich, das auch umzusetzen. Zudem die Ruhe nur eine Seite der Medaille ist. Während die meisten die Medaillen beim Streben nach oben, im „Höher, Schneller, Weiter“ suchen, empfehle ich dir mal den Blick in die entgegengesetzte Richtung:
Wenn du dich auf dich selbst einlässt und in dir versinkst, sei es in Form einer Meditation, des einfach-nur-vor-dich-hinstarrens oder mit einem dösenden Nickerchen, wartet eine riesige Welt auf dich. Dieser Zustand von „alles egal“, „ich lass mich treiben“ und „einfach nur sein“ führt dich in die Tiefe deines Unterwusstseins.
Das Unterbewusstsein gleicht einem Reich voller Möglichkeiten, denn hier ist alles gespeichert, was deine Wahrnehmungsfilter aus dem bewussten Neokortex rausgeschmissen haben. Hier ist der Stoff, aus dem die Geschichten für Träume entstehen. Der Sumpf des Erlebten inklusive aller potentiellen kreativen Zusammenstellungen für deine Ängste. Es ist wie der Fundus deiner Kreativität.
Für die Ruhe ist das eine Gefahr, denn hier droht auch die nächste Ablenkung. Doch wenn du dir erlaubst, dort einfach daran herabzugleiten, während du weiter deiner eigenen Tiefe entgegenschwebst, hast du bereits eine erste Perle entdeckt.
Doch es geht noch tiefer. Dort, wo deine Langzeit-Erinnerungen liegen. Die ursprünglichen Erinnerungen negativer Erfahrungen. Und auch deiner Highlights aus der Vergangenheit.
Es ist alles da. Nur entsprechend tief. Im Film „Alles steht Kopf“ werden sie Kernerinnerungen genannt. Doch auch auf dieser Ebene gilt: Es darf alles da sein, du musst damit nichts tun. Es reicht zu wissen, dass ein Zugriff möglich wäre, wenn du wolltest. Nur ist das ein Ort, wo wir normalerweise nur selten hinkommen. Diese innere Welt ist vergleichbar mit der Tiefsee, die laut Wikipedia zwar 88% des Ozeans ausmacht, doch weit unerforschter ist als der Mond.
Unterhalb von 200 m wird es in den Meeren stockdunkel. Zumindest, wenn man das Sonnenlicht als Lichtquelle in Betracht zieht. Aber statt sich darüber zu ärgern, haben sich die Meeresbewohner angepasst: 9 von 10 Tieren der Tiefsee verfügen über die Eigenschaft der Bioluminiszenz, das heißt sie leuchten aus sich selbst heraus, ähnlich wie Glühwürmchen.
Nun stell dir vor, auch du hättest so ein inneres Licht. Nicht sichtbar, doch irgendwie spürbar, wenn du dich auf die Suche machst. Vielleicht erhältst du ein Bild vor deinem inneren Auge, wie es aussehen könnte, vielleicht ist es auch nur so ein Gefühl von Wärme, das du spüren kannst.
Diese Gewissheit von „egal wie tief ich absteige, ich kann das Licht in mir finden“ hat mir schon in manch dunkler Stunde Hoffnung gegeben. Und vielleicht hilft es auch dir, denn genau hier beginnt deine Klarheit. Egal wie klein und unscheinbar, die Bewusstheit über dein Inneres Licht kann dir zurück an der Oberfläche deines Bewusstseins im Alltag den Mut geben, dir und deinem Leben neue Chancen zu geben. Zu erkunden, was du noch nicht entdeckt hast, und darauf wartet, wie von einem Tiefseetaucher von dir entdeckt zu werden.
Erkenntnis 2
Im Spiegel der Anders-Art-igkeit erkennst du dich selbst.
Wenn du noch normal sein möchtest, sei erst recht extra ordinary.
Viel zu oft fragst du dich womöglich, ob du noch „normal“ bist. Weil du aneckst mit deinen Ideen, irgendwie anders denkst oder den Spaß der anderen nicht lustig findest. Vielleicht hast du dich auch redlich bemüht, dich auf die Ideen der anderen einzulassen, um nicht aufzufallen, mitgemacht, obwohl du dagegen warst, oder deine Meinung gleich ganz unter den Tisch fallen lassen.
Anders zu sein ist hart. Aber nur auf den ersten Blick, denn hat es auch Vorteile, die ich dir gleich aufführen werde. Dieses „schwarze-Schaf“-Gefühl, das Außenseiter-Dasein, lässt dich nämlich innehalten, reflektieren und hinterfragen. Solange eine Gruppe homogen ist und alle die gleichen Ideen haben, kann sie sich nur langsam fortentwickeln. Es sind, wie auch in der Genetik, die Ausnahmen, die den Status Quo in Frage stellen können. Die durch ihre konsequente Andersartigkeit zeigen, was noch möglich ist.
Was im Marketing sehr gefragt ist, ist soziologisch die größte Gefahr: Denn wenn du es wagst, die Gruppe zu hinterfragen, läufst du Gefahr, ausgeschlossen zu werden. Und wer bitte will das schon? Unsere Gene haben diese Urangst schon aus den Zeiten der Säbelzahntiger gespeichert: Wir halten zusammen, so können wir in der Wildnis überleben und den Tiger bezwingen. Oder wir machen ‚unser eigenes Ding‘ und werden dadurch aus der Sippe gestoßen. Damals der sichere Tod. Doch heute ist die Gefahr der Säbelzahntiger überschaubar (da fürchten wir eher Papiertiger oder gar den zahnlosen Tiger…. kleiner Scherz).
Dennoch ist das Risiko, von der zugehörigen Gruppe abgelehnt zu werden, höchst real. Und genau deshalb auch geprägt von Schmerz, Mobbing, (stillem) Leiden. In der Pubertät ist diese Gruppenzugehörigkeit Teil unserer Entwicklung, und das „ausgeschlossen fühlen“ besonders präsent.
Wie viele negative Erlebnisse haben dich in dieser Zeit geprägt?
Dir klar gemacht, dass du so, wie du bist, nicht okay bist?
Wie viele Anpassungsstrategien hast du dir angeeignet, um dazugehören zu können?
Was glaubst du, wie sich ein Kopffüßler, wie man die Oktopoden auch nennt, unter Fischen fühlt? Da ist ja aus Sicht der Fische so einiges „schiefgelaufen“:
„Er hat drei Herzen, sein Hirn ist um seinen Hals gewickelt, und statt mit Haaren ist er mit Schleim bedeckt. Sogar sein Blut hat eine andere Farbe als unseres: Es ist blau, weil Kupfer und nicht Eisen der Sauerstoffträger in seinem Körper ist“, schreibt Sy Montgomery im Buch Rendezvous mit einem Oktopus.
Aber ist es das wirklich?
Es hängt ja alles von der Bewertung ab. Acht Arme können beispielsweise sehr praktisch, oder auch sehr unpraktisch sein. Je nach dem, was er mit diesen Armen macht und wie er damit umgeht. Von Kopffüßlern sind zwar unterschiedliche Launen, aber Depressionen, selbstverletzendes Verhalten oder Selbstmordversuche meines Wissens nicht bekannt. Die Fähigkeit, sich zu ritzen, hätten sie allemal, warum suchen sie also nicht ihr Glück im destruktiven Verhalten?
Das Bewusstsein, also das Wissen um die eigene Existenz, reicht schon aus. Du bist, was du bist. Du hast, was du hast. Was wäre, wenn du lernst, deine Andersartigkeit als Einzigartigkeit umzudefinieren? Was wäre, wenn du mit genau diesen Eigenschaften eine Gabe bekommen hast, die es zu entdecken gilt?
Eckart von Hirschhausen erzählt die Geschichte aus der Sicht des Pinguins, der an Land furchtbar aussieht, aber im Wasser eine tolle Figur macht.
Meine Botschaft ist: Du hast (im übertragenen Sinne) acht Arme. Sei stolz drauf und nutze sie. Finde heraus, wofür du deine Einzigartigkeit einsetzen kannst. So wie du ist kein einziger Mensch auf der Welt! Nicht mal als eineiiger Zwilling. Und sei froh um jeden Kontrast, der dir im Spiegel der anderen auffällt. Denn so kannst du deine eigenen Gaben entdecken und wie ein Forscher herausfinden, wie du sie einsetzen willst. Damit kommst du dir authentisch näher und lernst auf spielerische Art, dich selbst mit deiner Einzigartigkeit zu lieben.
Erkenntnis 3
Deine Genialität ist bereits in dir.
Glaube nicht alles, was du über dich denkst.
Der Octopus ist genial – darin sind sich die meisten einig. Der Mensch auch – nur glauben das nicht alle. Sowohl Mensch als auch Octopus besitzen ein zentrales Gehirn, Wahrnehmungskanäle, Nervensystem und einen Körper.
Man könnte sagen, dann hört es auch schon auf mit den Gemeinsamkeiten. Dennoch sind es diese genannten, auf die es ankommt, wenn es um Genialität geht. Denn Genialität lässt sich auf das lateinische Wort ‚ingenium‘ zurückführen, das für ‚angeborene, schöpferische Gabe‘ steht. Diese Gabe wird meist mit dem Geist, also dem Verstand, in Verbindung gebracht. Doch der Geist allein kann Genialität zwar empfangen, jedoch nicht umsetzen. Dafür dürfen die Impulse aus dem Gehirn über das Nervensystem in den Körper fließen. Und unter anderem über die Wahrnehmungskanäle ihren Ausdruck bekommen.
Doch wird hier nicht zu spät angesetzt? Damit ein Geist empfangen kann, darf er dafür offen sein.
Also fangen wir nochmal von vorn an: Jedes Leben ist beseelt, also jeder Körper ist das zu Hause für seine Seele. Dass es die „eigene“ Seele ist, wird als das Bewusstsein beschrieben. Nach dem australischen Philosophen Peter Godfrey-Smith hat der Octopus ein Bewusstsein. Er versteht, dass er selbst lebt, was sich beispielsweise an seinem Spielverhalten widerspiegelt, eine Fähigkeit, die nur komplexen Lebensformen vorbehalten ist.
Um dieses Bewusstsein mittels eigener Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen, nutzt der Octopus wie auch der Mensch seine Wahrnehmungskanäle, die die aus dem Herzen liebevolle Intention zum Ausdruck bringen. Der Verstand wird idealerweise genutzt, um die herzensreiche Absicht zu unterstützen.
Nehmen wir als praktisches Beispiel die 1600 Saugnäpfe des Octopus: „Jeder einzelne war ein Multitasking-Talent und konnte saugen, schmecken, zupacken, festhalten, zupfen und wieder loslassen“, schreibt Sy Montgomery in Rendezvous mit einem Oktopus.
Die Tatsache, dass zwar der Octopus auf diese geniale Weise lebt, der Mensch jedoch seine liebevolle Absicht nicht gleichermaßen bedingungslos zum Ausdruck bringt, hat mit etwas zu tun, das erst in den letzten 50 Jahren ausgiebiger erforscht wird: Trauma.
Trauma ist ein riesiges Thema, hier daher nur eine einfache, kurze Erklärung: Ein Mensch, der seine Grundbedürfnisse gefährdet sieht (vor allem in Phasen vollständiger Fremdabhängigkeit wie in frühester Kindheit), hat diese Erlebnisse in der Amygdala emotional und im Hippocampus (Zeit, Ort, Bewertung der Emotion) abgespeichert. Durch die Ausschüttung von Stresshormonen wird jedoch die Verbindung der beiden Hirnregionen gestört, und das Erlebnis wird nur fragmentiert im Hippocampus abgelegt. Äußere Reize ähnlicher Art führen dank der alarmierten Amygdala zu Überreaktionen. Trauma-Forscher Bessel van der Kolk wies nach, dass Menschen über das limbische System zudem auch über ein Körpergedächtnis verfügen. Traumata machen sich also körperlich bspw. durch Schmerzsymptome oder chronische Verspannungen bemerkbar. Es geht allerdings auch in die andere Richtung, so dass bestimmte Körperregionen für sich selbst nicht mehr spürbar sind.
Zwar wird Trauma meist mit furchtbaren Erlebnissen in Zusammenhang gebracht, doch auch schon aus kultureller Alltagssicht „banale“ Ereignisse wie der Onkel, der die zweijährige Nichte oben auf den Schrank setzt, kann traumatisch abgespeichert sein und zu Überreaktionen bspw. im Zusammenhang mit Onkeln, Schränken oder Gegenständen auf dem Schrank führen.
Dies soll nur ein sehr allgemein gehaltenes Beispiel sein, um das Prinzip von Trauma zu verstehen. Diese Traumareaktionen des Körpers haben zur Folge, dass der Körper in seiner ursprünglichen, sensiblen Wahrnehmung gestört ist. Die potentielle Genialität kann dadurch nicht zum Ausdruck kommen. Die gute Nachricht: Alles, was in dir ist, kannst du nutzen, wenn du dir darüber bewusst wirst und aktivierst, was taub oder verspannt war. Dadurch wird deine Genialität tatsächlich nutzbar.
Erkenntnis 4
Acht Arme und überall gleichzeitig. Weil du es kannst.
Glaube nicht alles, was du über dich denkst.
„Die extremen Multitasking-Anforderungen, mit denen Oktopoden konfrontiert sind, mögen zu dieser Entwicklung beigetragen haben: Er muss all seine Arme koordinieren, Farbe und Form verändern, er muss lernen, denken, entscheiden und sich erinnern – und zur gleichen Zeit die Flut an Geschmacks- und Tastinformationen, die sich von jedem Zentimeter Haut in sein System ergießen, verarbeiten und darüber hinaus dass Wirrwarr visueller Reize sortieren, die seine gut entwickelten, den menschlichen sehr ähnlichen Augen liefern.“
(Sy Montgomery, Rendevouz mit einem Oktopus)
Wie wunderbar, in der Natur Vorbilder zu finden, die uns zeigen, was möglich ist. Auch dein Körper ist ein beeindruckendes Meisterwerk, in dem eine Fülle von Prozessen gleichzeitig und ohne dein bewusstes Zutun ablaufen. Denk nur an die Billionen von Zellen in deinem Körper, die unermüdlich arbeiten. Während du deinen Tag verbringst, produzieren und reparieren sie sich, kommunizieren miteinander, und versorgen dich mit Energie. All dies geschieht automatisch, so wie dein Herz konstant schlägt und deine Lungen Luft ein- und ausatmen. Jeder dieser Vorgänge ist in sich hochkomplex und zeugt vom perfekten Zusammenspiel in deinem Körper.
Während sich im Geschäftsleben und dem Alltag der Glaube durchgesetzt hat, Multitasking sei „nicht möglich“, beweist dir dein eigener Körper in jeder Minute das Gegenteil. Denn das Herz setzt nicht mal eben aus, um dem Magen die Gelegenheit zu geben, ein wenig mehr Magensäure zu produzieren.
Zugegeben, hier handelt es sich um das autonome Nervensystem, nicht um bewussten Verstand. Aber auch Autofahren, der Musik aus dem Radio lauschen und sich währenddessen unterhalten ist parallel möglich – jedenfalls, wenn die Führerscheinprüfung schon etwas her ist und die erlernten Verhaltensweisen aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis gewandert sind.
Warum führt also die Vielzahl der Anforderungen im Alltag in unserer modernen Gesellschaft so häufig zu Stress, Erschöpfung und Burnout?
Fünf Gründe sehe ich als besonders relevant an:
Persönlichkeitstypen als Antwort
Zum einen gibt es unterschiedliche Persönlichkeitstypen. Vielleicht kennst du den ein oder anderen Persönlichkeitstest, bei dem du herausfinden kannst, wie sehr du zu Überforderung neigst, welche Ausprägungen und Verhaltensweisen besonders riskant sind oder welche Hormone dich davon abhalten, zur Ruhe zu kommen. Ob oberflächlich in der „DISG-Analyse“, etwas tiefer bei den „16 Personalities“, spirituell angehaucht wie im „Enneagramm“ oder vielseitig beim „Human Design“ – im Internet findest du sicherlich Antworten über deine Persönlichkeit und deine damit verbundene Stressresilienz.
Vielleicht stößt du bei deiner Suche aber auch auf neue Wortkreationen wie die „Scannerpersönlichkeit“, die dir helfen sollen, deine Vielzahl an Tasks, Aufgaben und Interessensgebieten neu einzuordnen.
Um nicht mit technischen Geräten verwechselt zu werden, ist für „Scanner“ auch der Begriff des „Vielbegabten“ in Umlauf.
Hast du dich erstmal dank schickem Test als „vielinteressiert“ identifiziert, bist du zwar keinen Schritt weiter, aber immerhin hast du nun einen netten Namen für das Phänomen „alles und zwar sofort“.
Trauma führt zu Fragmentierung
Bessel van der Kolk, ein Pionier in der Traumaforschung, hat erkannt, dass traumatische Erlebnisse oft zu einer „Fragmentierung“ unserer Persönlichkeit und unseres Erlebens führen können. Wenn du gleichzeitig versuchst, die vielfältigen Anforderungen des Lebens zu jonglieren, und sich diese mit früheren traumatisierenden Erfahrungen mischen, kann sich das auf mehreren Ebenen bemerkbar machen:
Erinnerungen werden durch die Traumatisierung fragmentiert abgespeichert und können in der Folge nur bruchstückhaft abgerufen werden. So wird das Verlassen des Hauses mit Kind auf dem Arm zum Stressfaktor, wenn die einfache Frage „wo ist denn jetzt mein Schlüssel“ dich in eine Familiensituation zurückversetzt, in der deine Mutter dich als Kind, sie selbst den Schlüssel suchend, in ihrem Stress plötzlich angeschrien hat. Eben noch eine harmlose Alltagssituation, reißt dich der Flashback in die Vergangenheit, bringt dich emotional in die Hilflosigkeit von damals und macht sich womöglich durch körperliche Verspannungen bemerkbar. (Dein Kind wird darauf möglicherweise in irgendeiner Form reagieren, was für dich aufgrund deines Millisekunden dauernden Flashbacks eventuell nicht nachvollziehbar ist und gegebenenfalls deinen Stresspegel zusätzlich verstärken kann).
Das Gefühl, sich zerrissen zu fühlen oder aus verschiedenen Teilen zu bestehen, verstärkt den wahrgenommenen Stress der vielen parallelen Aufgaben noch zusätzlich. Bevor du jetzt überlegst, ob dich das überhaupt betrifft: Wir alle tragen Traumata in uns. Selbst mit der glücklichsten Kindheit sind die schweren Erlebnisse deiner Ahnen bis zu sieben Generationen lang in deinen Genen gespeichert und du gibst sie, sofern du sie nicht selbst löst, an deine Kinder weiter.
Ergo: Die Kombination aus Multitasking und Traumata steigert das Gefühl eigener Überforderung.
Akademikeranspruch trifft auf Grundbedürfnis
Wo früher der Kindergärtner vorwiegend Streithähne in die Ecken verwies und die Pflasterausgabe überwachte, sind nun Erziehungswissenschaftler mit dem Anspruch an akademische Sozialstudien in professionalisierten Einrichtungen für den Nachwuchs da.
Ich möchte das nicht weiter bewerten, sondern einfach aufzeigen, dass liebevolles Pusten auf das verwundete Knie in den Augen gebildeter Eltern heutzutage möglicherweise nicht mehr als akute Diagnostik und Therapie ausreicht.
Je mehr du dich mit den Einzelheiten deines Lebens bewusst befasst, desto mehr beziehst du deinen Verstand mit ein.
Daran ist nichts Verwerfliches, ganz im Gegenteil: Es zeigt die Loyalität zum Elternsein, das Engagement für den optimalen Werdegang der Nachkommen sowie, und hier liegt das Problem, die zusätzliche Aufgabe zu Lasten der Eltern.
Und auch ohne Nachwuchs wissen die Menschen heutzutage dank Forschung, Wissenschaft, Bildung und Aufklärung wesentlich mehr über Ernährung, den Körper, die optimale Lebensweise als je zuvor.
Mit dem Wissen kommt der Leistungsanspruch.
Was gleichzeitig den Druck mit sich bringt, all das Wissen für sich auch anzuwenden und umzusetzen. Das Ergebnis aus dieser Diskrepanz ist bekannt: Übergewicht als gesellschaftliches Massenphänomen trotz großer Bewusstheit und frei zugänglicher Hacks, wie gesunde Ernährung im Alltag aussehen kann.
Kurzgefasst: Information ist nicht Wissen. Und Wissen ist nicht Umsetzung. Denn Umsetzung beinhaltet Verhaltensänderung, und hier kommen wir zu des Pudels Kern:
Wollen ist nicht Machen
Der Anspruch an die moderne Frau und den modernen Mann ist überwältigend, und wenn wir ehrlich sind, schlichtweg nicht möglich. Nach einer mehrfach unterbrochenen Nacht dank des unruhigen Nachwuchses pünktlich, topfit, frisch gestylt und hochperformant beim Job abzuliefern ist schon Anspruchs-voll.
Hast du dich mal gefragt, wer diese Ansprüche aufstellt?
Diese ungeschriebenen Normen wabern wie eine Subkultur durch die Gedankenkarussells ihrer Gläubigen.
Und wenn du nicht mitmachst im Club der Gläubigen, dann qualifizierst du dich als Gesprächsstoff für die Kaffeeküche, den Dorftratsch und Emoji-lastige Textnachrichten der KollegInnen. Und damit bist du mittendrin in der sozialen Stressmatrix. Als Alleinkämpfer gegen den unsichtbaren Feind – ganz schön anstrengend.
Dich also nicht an die Nomenklatur zu halten, garantiert dir sozialen Stress, dich daran zu halten setzt dich selbst unter Druck.
Denn, um zurück zum Beispiel zu kehren, ein übermüdeter Körper wird auch mit 2 l Kaffee intus keine High Performance abliefern, er wird aus dem eigenen Leistungsanspruch heraus aber „so tun als ob“ und „den Schein wahren“.
Somit sind die Verhaltensabsichten, das „wollen“ ebenso wie das „machen“ potentielle Störfaktoren auf der Suche nach dem „es hinkriegen“ und „gut schaffen“.
Statt ins Handeln zu kommen wirst du mit zunehmender Hilflosigkeit in eine Starre fallen und hoffen, dass „endlich etwas“ passiert.
Spätestens hier helfen auch keine „dranbleiben“-Reminder oder rhetorische Flammreden selbsternannter Motivationsgurus mehr. Dieser Stuck State, der Zustand des Verharrens, ist nach Britt Frank (Autorin „The science of stuck) weder die Prokrastination fauler Menschen, noch ein postpubertäres rebellisches Verhalten. Sondern eine Schutzreaktion des Körpers auf „too much“.
Und noch ein weiterer Einflussfaktor spielt eine erhebliche Rolle in der Frage, warum Multitasking gesellschaftlich so häufig zu Stress, Erschöpfung und Burnout führen:
Das Energieniveau entscheidet
Wie kann es also sein, dass es Menschen gibt, die in der Vielfältigkeit so richtig aufblühen, während andere daran zerbrechen?
Der „Flow“-Forscher Csikszentmihalyi beschreibt mit seiner Definition von Flow einen Zustand, in dem bspw. beim Musiker oder Sportler eine Form der Leichtigkeit zu Spitzenleistungen führt. Das Spannungsfeld liege zwischen optimalen Anforderungen im Verhältnis zu den abgerufenen Fähigkeiten dieser Geniezone.
Tatsächlich ist, so lange der Körper im Stress- und somit Überlebensmodus hängt, es schlichtweg nicht möglich, diesen kreativen Zustand zwischen Unter- und Überforderung zu erreichen. Denn wem das Blut aus dem Hirn in Arme und Beine entrinnt, um der potentiellen Gefahr (der Säbelzahntiger lässt grüßen) zu entkommen, hat seine Lebenskraft nicht für den genialen gleichzeitigen Einsatz seiner „8 Arme“ zur Verfügung.
Der Blick auf die Hawkins-Skala des Psychiaters Dr. David R. Hawkins zur Einteilung von Bewusstseinsstufen macht deutlich: Für einen Flow-Zustand muss der Energiezustand oberhalb von 200 Hertz sein.
Selbst einem Octopus unter Stress passieren Fehler und er läuft Gefahr, von seinen Feinden angegriffen zu werden. Im Film „Mein Lehrer, der Krake“ wird der dokumentierte Tintenfisch von einem Hai verfolgt, der ihm nach wilder Verfolgungsjagd einen Tentakel abbeißt.
Es wird Zeit für ein Happy End für diese Erkenntnis, deshalb die gute Nachricht: Du gehörst du den Menschen, für die diese fünf Gründe kein Hindernis darstellen. Denn wenn du mir bis hierher folgen konntest, hast du das Potential, dein Organisationstalent mit Leichtigkeit und Freude auszuleben.
Der Octopus kann seine acht Arme über sein feines Nervensystem eigenständig steuern und ist damit wesentlich schneller, als wenn die Bewegungen über eine zentrale Schaltstelle im Gehirn liefen.
Du kannst das auch. Denn dieser feinfühlige Tausendsassa steckt auch in dir. „Sich endlich mal auf eine Sache fokussieren“ darfst du getrost hinter dir lassen.
Ob du dich über deine Vielseitigkeit ärgerst, freust, oder dadurch verzettelst oder chaotisch fühlst, hat mit der Bewertung deines Verhaltens zu tun.
Denn Organisieren, Delegieren, Koordinieren und Lenken, zählt zu deinen Talenten. Vielleicht fällt dir das sogar so leicht, dass du dieses Balancieren diverser Aufgaben bisher nicht mal als etwas Besonderes für dich sehen konntest, weil du es ja täglich eh tust. Also lass dir gesagt sein: Das ist deine Superkraft.
Sobald du erkennst, wie leicht und fließend das Leben sein kann und dir erlaubst, all deine Bälle easy peasy zu jonglieren, wird sich deine wahre Magie daraus entfalten.
Im bereits erwähnten Film „Der Lehrer, mein Krake“ triumphiert der Octopus in einer anderen Szene auf dem Kopf seines Todfeindes, dem Hai, der ihn von dort oben nicht fressen kann, und gemeinsam sausen sie so durchs Meer.
In meinem Kurs „The Octopus Genius“ lernst du Schritt für Schritt, deine acht Arme parallel und gleichzeitig in deinem Flow einzusetzen – mit Freude und spielerischer Leichtigkeit. Damit auch du aus deiner Geniezone heraus über deine Herausforderungen triumphieren kannst wie der Octopus.
Erkenntnis 5
Du bist in mehreren Dimensionen. Gleichzeitig.
Ein Wesen aus der Vergangenheit zeigt uns die Zukunft der Wahrnehmung: Willkommen in der Zeitdimension des Octopus.
Der Octopus hat sich vor 500 Millionen Jahren aus dem gemeinsamen Vorfahren eigenständig entwickelt. Peter Godfrey-Smith, der Autor des Buches „Der Krake, das Meer und die tiefen Ursprünge des Bewusstseins“ drückt es so aus, dass der Geist zweimal erfunden wurde, einmal in der menschlichen Entwicklung und einmal im Kopffüßler als „Insel mentaler Komplexität“ mit hochentwickeltem Nervensystem. „Wahrscheinlich werden wir der Erfahrung, einem intelligenten Alien zu begegnen, nie näherkommen.“.
Zu einer Zeit, in dem das Leben ausschließlich im Meer stattfand, noch lange bevor Dinosaurier auf unserem Planeten auftauchten, entwickelten sich diese Weichtiere. Wie viel Weisheit steckt in seiner Entwicklung? Der Octopus gibt uns die Gelegenheit, durch ihren Anblick weit in die Vergangenheit zu blicken.
„Ihr Ausdruck [der Krake] erinnert mich an die Augen von Hindugöttern und -göttinnen: Abgeklärt und allwissend blickt sie weise bis tief in die Urzeit zurück.“
Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus, S. 14
Man könnte auch meinen, der Octopus könne die Zukunft bereits wahrnehmen, während sie für uns noch vor uns liegt.
Dank seiner hochsensiblen Saugnäpfe erfasst der Tintenfisch nämlich chemische Informationen aus dem Wasser über eine Entfernung von ca. 30 Metern.
Forscher fanden heraus, dass die Saugnäpfe von Tintenfischen einhundert Mal sensibler auf im Meerwasser gelöste Chemikalien reagieren als die menschliche Zunge. Diese Verbindung mit der Dimension in die Zukunft und Vergangenheit, während du zum Zeitpunkt des Anblicks im Hier und Jetzt bist, hat eine magische Anziehungskraft.
Und wenn du genau überlegst, bist du dazu ebenfalls in der Lage: Du hast plötzlich einen neuen Gedanken. Ein Impuls, scheinbar aus dem Nichts. Das ist die Zukunft. Und gleichzeitig stehst du im Hier und Jetzt und betrachtest dabei ein altes Kinderbild. Auch du bist in mehreren Zeitdimensionen unterwegs. Gleichzeitig.
Gefühlsdimensionen
Auch auf emotionaler Ebene wirken deine Sinne, Hormone und Botenstoffe, oder wie Dr. Joe Dispenza es ausdrückt, mischst du dir deinen Hormoncocktail zusammen, um dich zu fühlen, wie du dich fühlst. Ob das Gefühl ein alter wiederaufbereiteter Cocktail aus der Vergangenheit ist, den du aus einer Retraumatisierung heraus wiederholt durchfühlst, oder im Hier und Jetzt deinen wahren Seelenzustand erfühlst. Beides ist möglich. Auf welches Gefühl du dich daraufhin fokussieren möchtest, ist deine Wahl.
Körperdimensionen
Eine weitere Ebene: Dein Körper. Er kann mit Zipperlein auf sich aufmerksam machen, doch ob du verstehst, dass dein Körper mit dir spricht, ist, ein wachsames Bewusstsein vorausgesetzt, deine Wahl. So lange du denkst, nur ein Arzt könne aufgrund seiner beruflichen Expertise herausfinden, was mit dir los ist, bist du dir deiner eigenen Ver-Antwort-ung, also der Möglichkeit, eigene Antworten zu finden, nicht bewusst.
Hast du in der Tierwelt jemals von Heilern und Ärzten in der Sippe gelesen oder gehört? Auch wenn Arbeitsteilung in der Tierwelt vorkommt, um Antworten für den eigenen Körper zu bekommen, können wir von der Weisheit der Tiere lernen. Nach dem im vorherigen Abschnitt beschriebenen Haiangriff und dem dadurch verlorenen Tentakel bleibt der Octopus ein paar Tage zurückgezogen in seiner Höhle. Ruht sich aus und lässt seinem Körper die Zeit, um den Verlust zu verarbeiten und neue Zellen zu bilden, die einen neuen Tentakel nachwachsen lassen. Dieses Körper-Bewusstsein ist eine Ebene, auf die auch du dich einlassen kannst. Darin liegt das Geschenk, seine eigene Körper-Weisheit zu entdecken. Krankheiten in der Tiefe verstehen zu lernen. Und sich daraus herauszuent-wickeln.
Disclaimer an dieser Stelle: Dieser Text ersetzt keinen Arztbesuch bei akuten Situationen, mit denen du keine Lösung parat hast. Nutze das angebotene System und lasse dir helfen, um damit deine Eigenverantwortung zu stärken. Ich bin weder dafür noch dagegen, ich zeige dir Wege auf. Entscheiden, was sich für dich stimmig anfühlt, kannst nur du.
Über-sinnliche Dimensionen
Dafür sind neben deinen sinnlichen Ein- und Ausdrücken zudem über-sinnliche Wahrnehmungen deine Realität. Wie sehr gehören „paranormale“ Phänomene in deinen Alltag? Du spürst, dass dein Partner dich gleich anruft. Du weißt, was der nächste Schritt ist, obwohl nichts im Außen bisher darauf hinweist. Du fühlst, dass deine Katze morgen nicht mehr da sein wird, obwohl sie sich gerade an dich kuschelt. Nimm deine Wahrnehmung für wahr, statt sie abzutun als „Hirngespinst“. Auch wenn deine Mutter dir die Monster unter dem Bett ausgeredet haben mag, du weißt, was du siehst, hörst, fühlst.
Es gibt nur eine Person, die bestimmen kann, was für dich wahr ist: Du selbst. Deine Wahrnehmungsebenen dürfen über das hinausgehen, was im Biologieunterricht durchgesprochen wurde. Durch die Annahme deiner Fähigkeiten stärkst du nicht nur deinen Selbstwert, sondern kannst auch hier wesentlich mehr Leichtigkeit in deinen Alltag bringen. Die leise Ahnung wird dich neu priorisieren lassen, wenn du sie nutzt. Du wirst schneller, wenn du deinen Eingebungen vertrauen lernst.
Das hier zu erklären, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. In meinem Programm „The Octopus Genius“ gehe ich ganz detailliert darauf ein, wie du die Wahrnehmungen von Hirngespinsten deines Verstands unterscheidest.
Und meine liebste Erkenntnis zu den Dimensionen verrate ich dir auch: Du darfst gleichzeitig in mehreren Wahrheiten stecken. Der Körper setzt sich mit einem uralten Angstmuster auseinander und bibbert, während du die Seelenruhe in dir wahrnimmst und weißt, dass alles in Ordnung ist und der aufkommende leichte Panikgedanke nur ein Warnsignal deines Verstands ist. Du siehst dich mit deinen Kindern im schicken Restaurant essen, obwohl das Geld gerade mal für die Discounternudeln gereicht hat. Der Unterschied zwischen Visualisierung, Manifestation, Hellsichtigkeit, Weisheit und Hirngespinst ist abgrenzbar. Die Einflussfaktoren wie Bewusstheitslevel, Herzoffenheit und Liebe als Lernpfade führen dich dorthin.
Erkenntnis 6
Wahre Stärke braucht keinen Panzer.
Weichheit als Erfolgsmesser
Eiserne Erfolgsregeln, Titanen, harte Disziplin und knallharte Regeln. Gerade schillern sie mir wieder von einer Titelseite entgegen. Typische Metaphern und Ausdrücke, um den Weg zum Erfolg zu beschreiben.
Mich motivieren sie eher zum Erbrechen, denn allein schon diese Sprache schnürt mir die Kehle zu und lässt meinen Bauch zusammenziehen. Ja, lange haben wir uns zum Erfolg „gedroschen und gepeitscht“, um wie in meinem Fall zu merken: Das kann es einfach nicht sein.
Härte als Schutz
„Harte Schale, weicher Kern“ war die Beschreibung meines ersten Ausfluchtversuchs – und so wahr mich die Worte beschrieben, so traurig ist doch der Hintergrund.
Wer Schutz braucht, ist verletzt worden. Wer nach Härte verlangt, hat diese erfahren. „Das hat noch keinem geschadet“ ist dabei auch nur ein Schutz-Satz. Denn die Wahrheit darunter ist schmerzhaft, und nur die wenigsten erlauben sich, diesen Schmerz offen zuzugeben. Vor allem dann nicht, wenn sie aufgrund der resultierenden Hilflosigkeit noch keine alternative Option gefunden haben.
Der Octopus hat seinen Panzer vor 500 Millionen Jahren abgelegt. Seitdem überlebt er ohne harte Schale. Er nutzt seine Intelligenz, seine Wahrnehmung und ist damit im Flow.
Schutzfunktion Intelligenz
Tintenfisch-Psychologin Jennifer Mather vermutet, dass die Transformation, ohne Panzer auszukommen, die Intelligenz der Tintenfische gefördert hat.
„Von allen Lebewesen auf dem Planeten, die sich in die Gedanken anderer Lebewesen hineinversetzen, ist es der Tintenfisch, der das am besten können muss. Ohne diese Fähigkeit würden all die vielen lebensrettenden Täuschungen nicht aufgehen. Ein Tintenfisch muss viele Arten von Fressfeinden und eigene Beutetiere davon überzeugen, dass er eigentlich ganz etwas anderes ist.“
Rendezvous mit einem Oktopus, S. 131
Es ist ein überholter Glauben, dass Härte ein Zeichen von Stärke sei. Ein Blick nach China reicht, um zu verstehen, dass nicht der harte Stahl am meisten aushält, sondern der biegsame Bambus, weswegen man ihn dort für Gerüstbau verwendet hat.
Es ist ja auch im Volksmund der stete Tropfen, der den Stein höhlt, nicht der Stahl.
Tatsächlich liegt im Wasser das Geheimnis, das jeder Taucher nur zu gut kennt:
„Das Meer zwingt einen, sich langsamer zu bewegen, alles mit Bedacht zu tun und gleichzeitig flexibler zu sein.“
Rendezvous mit einem Oktopus, S. 224
Langsam sein bedeutet nicht, schwach oder gar unterlegen zu sein. Ganz im Gegenteil, je komplexer die Aufgaben sind, desto wichtiger wird es, achtsam vorzugehen.
Auch wenn die Vorteile achtsamen Vorgehens auf der Hand liegen (weniger Fehler, durchdachter, und dadurch klarere, stabilere, nachhaltigere Ergebnisse…) wird die Weisheit eines zunächst langsam erscheinenden Vorgehens gerade in der Geschäftswelt noch zu wenig angewandt.
Falls du dir also Sorgen machst, ob du „zu schwach“ bist: Vergiss das Spiel mit den Muskeln und dem Druck, sondern orientiere dich lieber wieder auf den Octopus mit seiner Sogwirkung.
Auf der Website spricht Biologe und Tintenfischliebhaber James Woods davon, dass ein Saugnapf mit 6cm Durchmesser ein Gewicht von knapp 16 kg anheben kann. Hätten alle Saugnäpfe diese Größe, so entspräche die Saugkraft eines Oktopus insgesamt etwa 25 Tonnen.
Eine andere Quelle spricht von einer Zugkraft vom hundertfachen des Eigengewichts.
Widerstandsfrei weich, flexibel, dynamisch, intelligent und dazu noch stark… wenn der Octopus das alles in den Tiefen des Meeres kann, dann kannst du das auch!
Erkenntnis 7
Sensibilität und Kreativität sind Superkräfte
Gradlinigkeit ist nicht stromlinienförmig
Es war einmal ein kleines, schüchternes Mädchen. Es wuchs buchstäblich unter dem Rockzipfel seiner Mutter auf. Dort war es sicher. Dort konnte es aus diesem sicheren Blickwinkel heraus in die Welt blicken. Beobachten und fühlen, was vor sich geht. Wer wie agiert. Und sich, in sich zurückgezogen, fragen warum die Welt war, wie sie war.
Menschen, die sich direkt an sie wanden, waren ihr ein Graus. Einfach so angesprochen und aus den eigenen Gedanken gerissen zu werden, das war furchtbar. Und dann Antworten finden auf Dinge, die sie selbst nicht verstand.
„Wie geht es dir“, war so eine Frage.
Warum wollten Menschen das von ihr wissen? Es war eine sehr vielschichtige Frage, und schon bald bemerkte sie, dass die Menschen, die sie das fragten, gar nicht daran interessiert waren, eine ehrliche Antwort darauf zu bekommen. Es war mehr eine Floskel, und die Antwort hatte zu lauten „gut“. Und wenn das mal nicht stimmte?
Darauf bekam das Mädchen von Karla Kolumna, der rasenden Reporterin aus Bibi Blocksberg, die passende Antwort „du antwortest, dass es dir gut geht, auch wenn das nicht stimmt“. Sie erklärte das in einem Ton, der keinen Raum für Rückfragen ließ. Und die Kassette gab nicht mehr Antworten als die, die auf ihr gespeichert waren. Wertesysteme und soziokulturelle Gepflogenheiten analytisch zu verstehen, dafür war das Mädchen noch zu klein.
Dennoch gefiel ihr die Antwort von Karla Kolumna nicht. Es würde bedeuten, man solle sein Gegenüber anlügen, denn gut wäre selten die passende Antwort gewesen. Zumal in dem Wort „gut“ so wenig von dem, was sie tatsächlich empfand, abgedeckt gewesen wäre. Doch da das Mädchen nicht weiter auffallen wollte, hielt es sich an diese Regel.
Ähnlich wie in der Kirche, wo ritualisiert Dinge getan wurden, die für sie keinen Sinn machten. Die scheinbar keiner hinterfragte, sondern einfach mitmachte. Sie sagte nichts. ‚Womöglich bin ich dafür noch zu klein, und wenn ich groß bin, verstehe ich das‘ schoss ihr manches Mal durch den Kopf.
Das Mädchen wurde groß. Sie lernte, dass sie hinter dem Rockzipfel hervorkommen musste, um gesehen zu werden. Die Schüchternheit wurde zum Problem. Leise Menschen haben es schwer. Sie bekommen nicht die gewünschten Noten und werden von den Jungs weniger beachtet.
Eine neue Strategie musste her, und so schaute sie sich ab, wie die in ihren Augen „erfolgreichen“ Mädchen sich dem gegenüberliegenden Geschlecht an den Hals warf. Mit Alkohol im Blut war das möglich, da fielen die Hemmungen und sie probierte sich aus. Laut wurde sie nicht, aber auf den Tischen tanzen und zur Musik mitgrölen, das ging gut.
So manches Mal wäre ihr mehr danach gewesen, das Wochenende einfach verträumt aus dem Fenster zu schauen und die Gedanken schweifen zu lassen. Sich Geschichten von sich begegnenden Regentropfen, die das Fenster herunterrinnen, auszudenken. Doch das war uncool. Wer Freitags und Samstags zu Hause sitzt, ist ein Stubenhocker (und somit außen vor).
Sie vermisste diese Welt. Wo sie eintauchen konnte, wo sich ihre Gedanken verlieren konnten und sie eins war mit ihrem Umfeld. Ob auf der Blumenwiese oder in der Badewanne.
In dieser großen, lauten Welt war kein Platz für Träumer, so schien es.
Der Alkohol als Mittel zur Betäubung eigener Bedürfnisse – die inzwischen junge Frau wusste sich so zu helfen und war gesellschaftlich damit bestens angepasst. Im Inneren tat der Alkohol als Nervengift, was gewünscht war: die sensorische Wahrnehmung wurde eingeschränkt, und das feinfühlige, empathische Einfühlen auf aktives Zuhören herunterreguliert.
Die Zeiten, in denen ihr Körper nach Rückzug verlangte, wurden diagnostiziert als „depressive Verstimmung“. Eigentlich war es die Suche nach dem eigenen Wohlfühlort. Und eine Sinnsuche.
Vielleicht kennst du das von dir auch?
Du kannst viel mehr als du denkst.
Doch du lebst dich nicht aus. Man könnte dir Hochmut vorwerfen.
Du spürst viel mehr als du siehst.
Doch du sprichst mit keinem darüber. Es könnte seltsam rüberkommen.
Du weißt viel mehr als du fühlst.
Doch du redest es dir lieber aus. Du könntest als Spinner abgestempelt werden.
Wenn du an dieser Stelle denkst, na super, erwischt – und jetzt?
Dann habe ich gute Nachrichten für dich: Genau dieser Widerspruch hat womöglich deine Kreativität gefördert!
Lass mich das genauer erklären:
Mit dem Bewusstsein, dass du anders bist als das, was „da draußen“ gesellschaftlich konform ist bzw. erwartet wird, befindest du dich innerlich in einem Konflikt.
Konflikte als Veränderungstreiber
Was machst du nun? Folgst du dem gesellschaftlichen Pfad oder verfolgst du deinen eigenen Sinnen?
Solange du deine Welt dualistisch wahrnimmst, kann es nur eine Antwort geben, und du wirst „richtig“ oder „falsch“ entscheiden.
Wenn du beginnst, beide Wahrheiten („du darfst sein, wie du bist“ und „das kollektive Verständnis einer Gesellschaft hat seine Berechtigung“) gleichermaßen zu akzeptieren, entwickelst du dadurch eine Ambiguitätstoleranz. Mit diesem Fachbegriff aus der Psychologie ist gemeint, dass du mehrere Lösungsoptionen aus diesem Konflikt entwickeln kannst und auch aushältst, sie alle zu kennen, ohne sie zwangsläufig anzuwenden.
Ein Beispiel aus meiner Zeit in China:
Oft war ich bei Restaurantbesuchen konfrontiert mit Verhaltensweisen, die aus meiner kulturellen Prägung in Deutschland heraus als höchst unhöflich und gesellschaftlich unerwünscht gelten, wie das Rülpsen bei Tisch.
Während ich anfangs zusammenzuckte, wenn ich jemanden so offen am Tisch rülpsen hörte, konnte ich Verständnis für die andersartige kulturelle Prägung aufbringen und tolerierte zunehmend die Rülpser meiner Mitmenschen.
Alternativ hätte ich mich auch jedes Mal darüber aufregen können, meine Mitmenschen über meine kulturelle Prägung aufklären können oder fordern können, meine Prägungen zu berücksichtigen. Durch meine Akzeptanz erweiterte ich kulturell meinen Horizont und wurde zudem flexibel in meinen Reaktionen, was mich insgesamt resilienter werden ließ.
Mit der Überlegung, mich von meinem Partner zu trennen, zögerte ich lange. Auch wenn ich Gedanken in mir hatte, die eine Trennung gern vorangebracht hätten, hielten mich andere Gedanken und Emotionen von handelnden Schritten ab. Meine resilienteste Eigenschaft wurde in dieser Phase meine Ambiguitätstoleranz, also meine Fähigkeit, mich mit meiner intern zunehmenden Klarheit für die Trennung selbst zu akzeptieren, obwohl ich nach außen hin noch keinerlei Kommunikation angegangen war. Durch diese Akzeptanz konnte ich mir selbst die Zeit geben, den Mut und die innere Stärke zu entwickeln, die die Konsequenzen meines Wunsches nach Trennung, nämlich mit zwei kleinen Kindern allein klarzukommen, ermöglichten. Aufgrund der hohen Sensibilität war es für mein System überlebensnotwendig, mir diese „Entwicklungszeit“ zuzugestehen.
Das kleine, schüchterne Mädchen ist inzwischen eine sich selbst bewusste Frau, die mitten im Leben steht. Die sich das Träumen bewusst erlaubt und ihre Me-Time genießt. Den wahren Freundschaften steht das nicht im Wege, im Gegenteil, denn sie pflegt Beziehungen mit Menschen auf dieser authentischen, offenherzigen Ebene.
Der Octopus verbringt etwa 70-80% seiner Lebenszeit zurückgezogen in seiner Höhle. Seine ca. 500 Millionen Neuronen, die sich über den ganzen Körper, vor allem in den Armen, verteilen, brauchen womöglich ebenso ihre Zeit, um das draußen Erlebte zu verarbeiten. Und diese Auszeit hilft ihnen womöglich, ihr kreatives Jagd- und Tarnverhalten auszuleben.
Kreativität als Motor
Neurologisch ist Kreativität das Zusammenspiel der linken und rechten Gehirnhälfte. Kreativ sein bedeutet nicht ausschließlich, gut malen oder zeichnen zu können. Jeder Handgriff, der Neues entstehen lässt, ungewöhnliches kombiniert oder einfach mehr aus der Summe seiner Teile emergieren lässt, ist kreativ.
So wird das Verhalten als schüchternes Partygirl sicherlich kreative Moves hervorgebracht haben. Und das Rollenverhalten der Frau, die sich trennen will, aber nach außen weiterhin die gute Ehefrau mimt, wird ebenso kreative Züge annehmen, um ihr Schutzverhalten zu erhalten.
Und wer einen Tintenfisch jemals dabei beobachtet hat, wie er sich bewegende Farbverläufe auf seine Haut projiziert, wird seine Kreativität niemals anzweifeln.
Wichtige Voraussetzung: Ausgeglichenheit
„Die größten Ereignisse, das sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden.“
Friedrich Nietzsche
Der kreative Flow liegt im Bereich von 4-7 Hertz, wenn das Gehirn im Thetawellenbereich schwingt. In diesem Bereich ist das Unterbewusstsein aktiv, finden Tagträumereien statt und das Gehirn ist offen zum Lernen. Was in der Hirnforschung unter anderem durch Marcus E. Raichle erst vor wenigen Jahren als Default Mode Network (DMN) identifiziert wurde, gerät nun immer stärker in die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler.
Nachdem die Forschung sich jahrzehntelang auf die kognitiven Vorgänge fokussiert hat, dürfen nun also die Antagonisten, die Ruhenetzwerke, erforscht werden.
Dort, wo Gedanken frei fließen dürfen, statt sie in starre Konzepte zu packen, entstehen assoziative Gedanken und oder entstehen Emergenzen. Interessanterweise funktionieren diese Ruhezustände für den Körper wie ein Energiesparmodus. Das bedeutet mehr Entspannung, mehr Energie und neue Impulse – ganz gute Kombi, stimmt‘s?!
Und es wirft noch einmal einen ganz anderen Blick auf deine „gedankenverlorenen“ Notizblock-Kreationen während eines Meetings oder damals in der Schule. Was, wenn es beim Vor-sich-hinkritzeln nicht um den Ausdruck von Langeweile, sondern den bewertungsoffenen Empfang von Lerninhalten bzw. relevanten Firmeninformationen geht?
Kreativität zählt auch im Alltag:
Wenn ein Weg nicht funktioniert, probierst du kreativ neue Wege. Du willst als alleinerziehende Mutter auf eine Abendveranstaltung, aber der Babysitter hat abgesagt? Im Stressmodus wird Absagen die naheliegendste Lösung. Doch mit der Ruhe und kreativen Schöpferkraft wirst du neue Ideen entwickeln, mit der alle gut leben können, wie die Freundin vom Sport, mit der die Tochter eh schon mal eine Übernachtung planen wollte. Und die Nachbarin als Ansprechpartnerin einzubinden, um dem Sohn das Gefühl von Sicherheit zu stärken.
Genau so verstehe ich auch den Octopus auf Jagd: Kreativ und flexibel.
Kreativ und flexibel
Im ersten Moment versteckt er sich durch Färbung seiner Haut mit dem Muster des Untergrunds. Spürt er, dass er damit nicht durchkommt, ändert er blitzschnell seine Strategie. Vielleicht bedeckt er sich mit Muscheln und imitiert mit seinem flexiblen Körper sogar die Form eines anderen Tieres.
Und wenn auch das nicht ausreicht, switcht er vielleicht um in eine Jagdstrategie, um den Störenfried abzuwimmeln.
Die Geschwindigkeit, Vielfalt und Komplexität der unterschiedlichen Verhaltensweisen zeigen die wahre Genialität des Tintenfisches.
In der Tiefe des Meeres machen uns diese Kreaturen vor, worum es geht: Spielerisch kreativ mit hohem Sinn für sich und ihre Umgebung authentisch die passende Strategie zu finden.
Erkenntnis 7
Alles hat seinen eigenen Rhythmus.
Finde deinen.
Mit 8 Armen hat die Krake das volle Potential, sich mit ihren eigenen Tentakeln zu verhakeln und zu verknoten. Wie kann es sein, dass sie diese acht Arme unabhängig voneinander steuern kann, ohne damit in Bedrängnis zu geraten?
Ent-Spannung: das Geheimnis für innere Balance
Tatsache ist, dass beim Octopus nicht jede Information aus den Tentakeln an das Zentralhirn weitergeleitet wird. Umgangssprachlich ließe sich sagen, dass der Octopus nicht jedes Detail seiner Arme wissen muss.
In dieser „laisser faire“-Haltung des octopodischen Nervensystems liegt ein großer Lernfaktor:
Wie viel entspannter könntest du leben, wenn du nicht über jedes Detail informiert sein musst?
Unser Bildungssystem ist darauf ausgerichtet, den rationalen Fähigkeiten besondere Aufmerksamkeit zu schenken, dazu gehört zu analysieren, kategorisieren und in logische Folgen einzuordnen. Voraussetzung ist hierfür allerdings, alle Einflussfaktoren im Blick zu haben und mögliche Veränderungen zu kontrollieren. Diese Fähigkeit wird gefördert (auch im persönlichen Bereich in Form von Selbstkontrolle) und im Studium weiter ausgebaut.
Was in rein fachlichen Aufgabengebieten wie der akademischen Forschung durchaus Sinn macht, ist für den Alltag und auch das soziale Zusammenspiel in Teams und sozialen Beziehungen grenzwertig.
Komplexe soziale Systeme lassen sich aufgrund ihres Zusammenspiels, der Systemik, nicht gleichermaßen kontrollieren, was Führungskräfte trotz höchster akademischer Qualifikationen immer wieder an den Rand der Verzweiflung bringt.
Soll damit systematisches Weggucken propagiert werden?
Keineswegs, vielmehr stellt sich die Frage, was dem Kontrollieren entgegengesetzt werden soll.
Aus meiner Erfahrung ist der Schlüssel: Vertrauen.
Was im Octopus durch sein neuronales Netzwerk abgedeckt wird, funktioniert auch für uns: Je mehr wir uns und unserem Umfeld vertrauen, desto mehr können wir uns entspannen, ohne über jedes Detail informiert sein zu müssen. Kontrollettis und Helikopter-Eltern dürfen lernen, ihren metaphorischen acht Armen zu vertrauen, und ermöglichen sich dadurch Ent-Spannung.
Kinder lernen ein gesundes Selbstvertrauen, indem sie ihren eigenen Fähigkeiten vertrauen lernen. Das geht bekanntermaßen am besten, wenn sie sich selbst und ohne ständige Kommentierung seitens Erwachsener ausprobieren dürfen, inklusive gesunder Fehlerkultur, um sich zu reflektieren und durch Übung besser zu werden.
Spielen heißt zeit-los sein
Ist die Spannung erst einmal raus, kommt der spielerische Aspekt hinzu. Friedrich Schiller erwähnte bereits 1795 in „Die Horen“: „(…) der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“. Die völlige Hingabe in das eigene Spiel, wie Kinder es so wunderbar vorleben, bringt dich in einen Flow-Zustand, der dir ermöglicht, die Welt aus Zeit und Raum zu vergessen.
Wusstest du, dass der Octopus das einzige Weichtier ist, das spielt? Sowohl Ping Pong Spiele als auch gezieltes Dosenschießen mit Wasserdruck aus dem Sipho wurden beobachtet. Die Intelligenz des Octopus könnte ihn so neugierig machen, und durch spielerisches Verhalten kann er Strategien ausprobieren, die ihm beim Jagen oder Tarnen dienlich sein können. Ganz ohne pädagogische Anleitung, vielmehr durch Anwendung seiner Kreativität lernt er, womöglich noch mit Freude, seine Umwelt kennen.
Zeitgefühl außerhalb von Zeit und Raum
Wie sehr erlaubst du dir, einfach mal abzuschweifen? Zu träumen, oder einfach mal nichts zu denken? Und zwar nicht geplant, in einer geführten Meditation oder einem Stille-Retreat, sondern einfach so, genau hier und jetzt? Ganz ohne dich dafür zu verurteilen, dass du „dich abgelenkt hast“ oder „den Fokus verloren hast“.
Es sind genau diese kleinen Auszeiten, die es in meinem Verständnis ausmachen, sich selbst wieder zu sammeln.
Und wie sehr erlaubst du dir, dich auszuprobieren? Gezielt Fehler zu machen wie Thomas Edison, über den man sagt, er habe 9999 Wege gefunden, wie das elektrische Licht nicht zustande kommt. Mit jedem Versuch lernst du dazu, und mit spielerischer Freude wird der Weg zum Ziel.
Zeit-Raum ist Definitionssache
Allerdings nimmt sich nicht jeder die Zeit, spielerisch seine Erfahrungen zu machen. In einer Welt voller Deadlines, Meetings und Meilensteinen finden „Versuche“ und „Experimente“ noch wenig Anerkennung.
Was dabei verkannt wird: Zeit ist nicht linear. Seit Einstein wissen wir um Quantensprünge, die nicht sequentiell verlaufen, ähnlich ist es bei Transmutationen in der Biologie, die „spontan“ große Veränderungen einläuten.
Somit gibt es keine Logik, die bestätigen würde, Experimente würden „zu lange dauern“ oder den Ausspruch „Spielereien haben wir keine Zeit“ untermauern.
Ich bin überzeugt, dass die Zeit des gezielten Eintauchens ins erwartungslose Spiel oder auch Gedanken-schweifen-lassen sogar erheblich Zeit einspart. So sehr, dass diese Form Einzug in meinen Arbeitsalltag gefunden hat und mich jedes Mal durch kreative Impulse auf Wege bringt, die ich durch konzentriertes Arbeiten sicherlich nicht gefunden hätte.
Biorhythmus statt Zeitplan
„Wenn du schnell sein willst, mach langsam“ – diese Konfuzius nachgesagte Redewendung soll oben genannten Ansatz bestätigen, das Vorankommen nicht an Zeitpläne zu binden, sondern dem eigenen Biorhythmus anzupassen.
So viel sei gesagt: Über die Arbeitsjahre war es nicht der Kaffeekonsum, der mich produktiver gemacht hat. Zwar hat er mich vor peinlichen Einschlafszenen in überflüssigen Meetings bewahrt. Doch erst seit der Powernap im Home Office (der übrigens in der chinesischen Arbeitswelt als ritualisiertes ‚Kopf vor Tastatur ablegen‘ durchaus sozial akzeptiert ist) Einzug in meinen Arbeitstag hielt, konnte ich meine Produktivität und Kreativität spürbar verbessern.
Den Arbeitstag nach dem eigenen Biorhythmus auszurichten, gehört schon lange zu meinen gar nicht so geheimen Hacks:
Denn je mehr ich spüre, was mein Körper gerade braucht, desto leistungsfähiger ist er.
Die perfekte Zeit
Lange habe ich mich für langsam gehalten. Als Perfektionistin habe ich mich, weil ich dadurch länger brauche, verurteilt. In Zeiten, in denen das Pareto-Prinzip, auch die 80/20-Regel genannt, hip und trendy war, konnte ich mit meinem „Ich bin noch nicht fertig“ nicht punkten. Am Ergebnis zweifelte keiner, doch nach der Deadline interessierte das leider nicht.
Andererseits konnten halbgare Konzepte auch nicht überzeugen, schließlich waren sie nicht durchdacht und zogen einige Folgekosten nach sich. Dass die Wirtschaft (und auch die öffentliche Verwaltung in ihren Ausschreibungen) tatsächlich so wenig nachhaltig agierte, machte mich lange fassungslos. Was da draußen alles so als „agil“ verkauft wird, sind vielfach halbgare Ideen, die durch entsprechend lange Optimierungszyklen laufen, bis sie tatsächlich durchdacht sind. Ob das die tatsächliche Projektlaufzeit verkürzt oder am Ende einfach nur ein anderer Name ist für „wir arbeiten jetzt abteilungsübergreifend enger zusammen und entwickeln gemeinsam“, vermag ich nicht zu beurteilen.
Mit dem Vergleich zum Octopus postuliere ich die Rehabilitation des Perfektionisten als jemanden, der ein gutes Gefühl dafür hat, wann welche Qualitätstiefe nötig ist.
Stell dir einen Octopus vor, der seine farbliche Tarnung nach der 80/20 Regel umgesetzt hätte. Glaubst du wirklich, er hätte sich so über 500 Millionen Jahre auf diesem Planeten gehalten? Vor Fressfeinden gibt es kein „geht schon“ oder „wir fangen erst mal klein an“, da gilt nur „ganz oder gar nicht“. Entweder perfekte Tarnung oder gefressen werden, so einfach ist das.
Bei der Gelegenheit sollten auch der Impostor und sein Syndrom eine neue Wertung erhalten: Nicht als ein Mensch zu gelten, der sich nicht traut. Sondern als ein Mensch, der eine genaue innere Uhr hat, die ihm sagt, wann die Zeit reif ist.
Die ist halt leider nicht nach äußeren Kriterien einstellbar, sondern richtet sich nach der eigenen Reife.
„Ich werde dir schon sagen, wenn ich so weit bin“ – ist seit Kindertagen meine Antwort, wenn mal wieder einer meint, mir erzählen zu wollen, was ich wann wie tun sollte.
Wenn du bereit bist, darf der nächste Schritt kommen. Dann, und nur dann, wirst du nachhaltig authentisch erfolgreich sein.
Biorhythmus – Die eigene Uhr stellen
Ein Octopus lebt „nur“ 2-4 Jahre. Nur 2 von 100 000 Eiern überleben überhaupt, weil die Babies nach dem Schlüpfen aus den Eiern zunächst monatelang wie Plankton mit der Strömung treiben, bis sie, zu dem für sie richtigen Zeitpunkt auf den Meeresgrund absinken.
Macht das überhaupt Sinn, wenn nur so wenige überleben? Für jeden Einzelnen schon. Auch hier gilt: wer seinen eigenen Biorhythmus versteht, kann aus der Masse herausstechen. Für den Einen bedeutet das vielleicht, langsamer zu sein, für den Anderen, schneller zu sein als der Durchschnitt.
Was ist das Ziel? Der Weg – denn der nennt sich (Über-)Leben.
Auf diesem Weg, der sich Leben nennt, bist du deiner Zeit nicht einfach nur ausgeliefert. Sicher kennst du die motivierenden Aufrufe „sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen“ oder „seinen Weg aktiv zu gestalten“. Diese Sprüche kommen allerdings ohne Gebrauchsanweisung (weshalb ich eine erstellt habe, ganz nach dem Motto „bring in die Welt, was du selbst gerngehabt hättest).
Ob du dich schnell auf den Weg machst, oder langsam bist, spielt dabei überhaupt keine Rolle, denn beides hat seine Berechtigung. Es geht vielmehr um die Frage: Darf jedes Tempo sein? Erlaubst du dir deine Schnelligkeit? Und erlaubst du dir deine Langsamkeit? Indem du dich für alle deine Geschwindigkeiten öffnest, kannst du sie genießen lernen.
Eine Armbewegung im Qi Gong besteht darin, so langsam wie möglich die Energie zu bewegen und bewusst zu spüren.
Eine Idee in die Welt zu bringen kann so schnell so klar für dich sein, dass du sie in Lichtgeschwindigkeit verkörperst, während andere noch über den ersten Impuls nachdenken.
Vielleicht fällst du durch dein anderes Tempo mehr auf. Oder du düst vor deinen Kollegen geistig voraus und wirst so für die anderen unsichtbar.
Egal wie, es ist okay. Du bist okay. Mehr als das, indem du dir deine Zeitidentität erlaubst, kommst du bei dir an. In deinem Tempo. In deiner Zeitqualität. Die mal langsam und mal schnell sein darf. Enjoy the ride, sagen die Amis.
Laut Sy Montgomery kennt der Octopus dreißig bis fünfzig verschiedene Muster und kann diese in sieben Zehntel einer Sekunde wechseln, und zwar Farbe, Muster und Textur.
Auch du passt dich in Lichtgeschwindigkeit an dein Umfeld an. Mit Gestik, Mimik, vielleicht sogar Stimmlage und Haltung.
Nur so konnte ich mich zu Studienzeiten ins interkulturelle Feld meines Praktikums in Shanghai zwischen Franzosen, Engländern, Chinesen und Deutschen nahtlos einfinden und viersprachig voll im Flow mit Leichtigkeit vermitteln.
Je mehr du das Tempo deiner Handlungen mit deinem eigenen Rhythmus in Einklang bringst, desto kongruenter bist du mit dir selbst.
Das Phänomen vom passenden Takt wird auch im Bereich Bewusstsein neurowissenschaftlich erforscht. Einige Theorien sprechen sich dafür aus, dass, je mehr Schwingungen in verschiedenen Hirnarealen zeitlich zum gleichen Zeitpunkt synchronisiert ablaufen, diese Kohärenz der relevante Faktor sei, um Reize bewusst wahrzunehmen. (Ragnar Vogt: Neurone mit Taktgefühl https://www.dasgehirn.info/grundlagen/kommunikation-der-zellen/neurone-mit-taktgefuehl)
Die Hebb’sche Lernregel „What wires together fires together“ des Neuropsychologen Donald Hebb bildet dafür die Grundlage, denn Hebb fand heraus, dass wiederholte Reize in den gleichen Neuronen sich verstärken und für deren Wachstum sorgen.
Und noch ein physikalisches Phänomen spielt hier hinein: Schall breitet sich im Wasser viermal schneller aus als Luft. Dabei ist Schall nichts anderes als Wellen auf bestimmten Frequenzen.
Wenn du also bewusst dein Verhalten (inkl. Passender Geschwindigkeit der Ausführung) mit deinen Bedürfnissen abgleichst, äußert sich das in mühelosem Ausdruck ganz im Flow.
Die Herausforderung besteht natürlich in dieser Angleichung.
Dazu kannst du dich wieder in die Welt des Octopus begeben:
„Aber es gibt noch etwas, das unser Erleben von Zeit verändert. Wir Menschen – aber auch Tiere – können den Gemütszustand eines anderen Wesens imitieren. Dabei spielen Spiegelneuronen die zentrale Rolle, eine bestimmte Art von Gehirnzellen, die in gleicher Weise reagieren, ganz egal, ob wir andere bei einer Handlung beobachten oder diese Handlung selber ausführen.“
Sy Montgomery, S. 42
Eine simple Tätigkeit wie das Betrachten eines Octopus bringt dich dank Spiegelneuronen nicht nur auf andere Gedanken, sondern auch in eine andere Frequenz.
Zeit ist eine Illusion, denn eine Minute kann sehr schnell und auch sehr langsam sein. Beim Beobachten wird das besonders deutlich: Interessiert dich das Tier? Dann wird die Minute sicherlich schnell vorbei sein. Kannst du diesem Meeresbewohner nichts Positives abgewinnen, wird dir eine Minute sehr lang vorkommen. Und wenn du dich vom Zeitbegriff gezielt abwendest, kannst du komplett eintauchen in die Bewegung, die Ruhe, die Kraft und die schelmische Neugier, bis du dich selbst mit ihm zutiefst verbunden fühlst.
Doch selbst ohne Tiere kannst du dich vom Element Wasser gezielt beeinflussen lassen:
Der Schriftsteller Marcelo Figueras beschreibt es so: „Auch wenn wir das Meer vor vierhundert Millionen Jahren (nach meinem Kalender) verlassen haben, das Meer hat uns nicht verlassen. Es ist immer noch in uns, in unserem Blut, in unserem Schweiß, in unseren Tränen.“ — Marcelo Figueras
Durch diese Identifikation mit dieser Meereswelt kannst du dich, allein durch die Kraft deiner Vorstellung, zusammen mit dem emotionalen Erleben, von jeglichem Zeitempfinden, sei es Zeitdruck oder Zeitnot, gezielt und sehr entspannt lösen.
Du siehst, Zeit ist, was du daraus machst.
Denn sie ist eine Illusion, an der du festhalten oder die du loslassen kannst. Je nach dem, auf welcher Ebene du dich bewegen möchtest. Das ist wahres Zeitmanagement.
Finde dein Tempo, damit hast du alles. Das darf auch schnell sein und leicht gehen.
Vor allem: Genieße den Prozess, denn der Weg ist das Ziel.